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Für einen gesunden Umgang miteinander – von Mensch zu Mensch

Triggerwarnung vorab. Ich spreche heute über meine Zwillinge, die ich vor fast 13 Jahren in der 22. Schwangerschaftswoche verloren habe. Besser gesagt darüber, wie manche Mitmenschen damit umgehen, auch heute noch. Also wer mit solchen Themen nicht kann, steigt bitte hier selbstverantwortlich aus.


Was mich gerade heute dazu bringt? Ich habe heute am Meer den Sonnenaufgang betrachtet. Es war ein so berührender, kraftvoller Moment. Als ich später vom Strand zurück lief, hörte ich in der Umgebung ein Lied von Nena, es erinnerte mich an einen der beiden Songs, den ich nach dem Verlust der Zwillinge in Dauerschleife gehört hatte. „Immer weiter, immer weiter gradeaus. Nicht verzweifeln, denn da holt dich niemand raus, komm steh selber wieder auf.“ Als ich „Wunder gescheh’n“ vorhin anhörte, trafen die Zeilen mitten ins Herz. Ja, es tut manchmal noch verdammt weh. Die Momente kommen recht selten und völlig unerwartet, sie sind dann einfach da. Die Musik hilft mir, den Emotionen Raum zu geben und sie abfließen zu lassen. Reinigende Tränen. Ich vermisse die Zwillinge, ohne sie richtig gekannt zu haben, und es zerreißt mich, dass ich sie nicht habe beschützen können. Und gleichzeitig kann ich sagen, dass alles ok so ist, wie es ist. Denn ich habe alles getan, was ich konnte. Ich habe sie voller Schmerz und Liebe zugleich nach 18 Stunden im Kreißsaal auf die Welt gebracht und in meinen Armen gehalten. Ich hatte vorher noch nie einen toten Menschen gesehen und hatte es mir bis dahin auch nicht zugetraut. Bei meinen eigenen Kindern stand das für mich überhaupt nicht zur Debatte, ich hielt sie dankbar in den Armen. Ein sehr ambivalenter Moment.


Um nun aber die Kurve zum Anfang zu bekommen: Können wir bitte aufhören, das Erlebte des anderen und seine Emotionen zu bewerten oder zu vergleichen? Ich weiß, solche Schicksalsschläge überfordern viele, weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Die Betroffenen allerdings abzustempeln hilft NICHT! Es hat bei mir dazu geführt, dass ich immer überlege, wem ich überhaupt von meiner Geschichte erzähle, denn ich hab keine Lust mehr darauf, in eine Schublade gesteckt zu werden. Selbst heute traue ich mich oft nicht zu benennen, wie oft ich schwanger war und wie viele Kinder ich verloren habe. Warum? Weil es dann meist heißt: „Oh, dann bist du ja nicht mehr belastbar und hast nun ein dünnes Fell.“ Denn von so vielen Verlusten könne man ja nur traumatisiert sein. Kleiner Einschub: Ich stehe stärker, zufriedener und bewusster denn je im Leben sowie voller Dankbarkeit. Traumatisiert hat mich vielmehr der Umgang der Menschen mit dem Tod meiner Zwillinge, hier ein paar Auszüge:


  • Kinder wüssten, wann sie erwünscht sind und wann nicht. -> Ich verstehe die tröstende Absicht der Aussage bis heute nicht.

  • Ich hätte sicher das Gefühl, versagt zu haben und wolle nun im Job Leistung zeigen. -> Danke für den ungefragten Impuls eines männlichen, kinderlosen Kollegen. By the way, ich hatte nach dem Verlust übrigens auf 60% reduziert.

  • Ja hätte man die Zwillinge denn nicht retten können? -> Ne, offensichtlich nicht.

  • Schön waren auch verschwiegene Schwangerschaften von Freundinnen. Ich kann nachvollziehen, dass es schwierig für sie war. Allerdings hab ich mich für jede Einzelne von ihnen gefreut. Heute weiß ich, es hatte nichts mit mir zu tun, sondern mit ihrer Unsicherheit. Was ich nicht verstanden habe: Was war denn die Idee dabei? Danach das Kind vor mir zu verstecken? I am sorry. Manchmal braucht es dann doch etwas Ironie.


Ich möchte den Fokus auf das shiften, worauf es mir ankommt: Können wir bitte einander den Raum geben und halten für alles, was ist? Denn diese Themen gehören zum Menschsein und zum Leben dazu. Wenn eine Person intensiv um ihr Haustier trauert, dann trauert sie. Punkt. Wenn eine Person Angst davor hat, auf einen gelben Knopf zu drücken, dann hat sie Angst davor. Punkt. Bewerten und abwerten, wegreden, vergleichen, sich lustig machen usw. helfen nicht. Es führt nur dazu, dass sich Menschen zurückziehen, sich nicht mehr zeigen, wie sie sind, weil sie genau das befürchten. Also bitte: mehr Toleranz, mehr Respekt und mehr Empathie. Keine (Berührungs)Angst vor Emotionen, sie gehören ganz natürlich zu uns.


Und wisst ihr was? Manchmal ist die Lösung sogar ganz simpel: fragen. Ich durfte es im Frühjahr bei meiner gesundheitlichen Ausnahmesituation selbst erleben und dadurch lernen, ich finde es eine tolle Möglichkeit. Einfach emotional ehrlich kommunizieren: „Hey, ich bin grad unsicher, wie ich damit umgehen soll und wollte daher fragen, wie du es dir wünschen würdest.“ An dieser Stelle danke, liebe Anja, für so viel Fein- und Mitgefühl, Respekt, Authentizität und Vertrauen in uns.



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